Dr. F. Hasse
San Sebastian, den 4. 8. 1960
Ategorrieta
Villa Urdincho
San Sebastian
Lieber Heinz, Liebe ehemalige Schüler!
Mit Recht könnt Ihr annehmen, ich sei schon in Spanien verschollen oder einem wilden Stier zum Opfer gefallen. Entschuldigt bitte die große
Schweigepause, wenn ich erst heute wieder zum Schreiben komme. Es gibt dafür doch verschiedene Gründe. Die Umsiedlung mit meiner
Familie brachte soviel Arbeit und Umstände mit sich, dass ich nebenher nur notwendigste Schreibarbeiten erledigen konnte und alles andere
zurückstellen musste. Neben einigen leichteren Krankheiten war es bei meinen Kindern das Heimweh nach Deutschland, genauer gesagt nach
Wendthagen das mich dann mitbelastete. Nun aber glaube ich, die Übersiedlung nach hier überstanden Zu haben. Unsere Kinder haben den
Schulanschluss an die Deutsche Schule hier gefunden und sprechen jetzt schon etwas spanisch.
Ja, die Schule. Gerade Euch kann und möchte ich nochmals sagen, dass ich solche guten Schüler wie Euch kaum jemals wiederfinden werde.
Es ist wohl ein Zeichen der Zeit, dass die Schuljugend sich stets weiterentwickelt in eine Richtung, die wir alten Lehrer nicht vorbehaltlos
gutheißen können. Hier an der Deutschen Schule in San Sebastian ist das Unterrichten doch wesentlich anders. Überwiegend spanische und
nur wenige deutsche Kinder bilden die Klassengemeinschaft. Die Spanier und schon die Kinder sind Individualisten, und den sprichwörtlichen
Stolz des Spaniern fühlt man schon bei den Schülern. Gerade die Basken als die Bewohner der Pyrenäen mit ihrer eigenen Sprache (neben
dem Spanischen), die überhaupt nichts mit der spanischen Sprache zu tun hat, sondern eher mit den Lappischen, sind hart, zäh und stur, wie
man solche Menschen bei uns nur unter den Bauern in Westfalen oder Niedersachsen findet. Daneben sind alle Schülerinnen und Schüler -
gemischte Klassen - charakterlich eigentlich recht gut. Dass sie mal ein bischen schwindeln, alles zum Besten kehren - siehe 8. Gebot - gilt hier
kaum als Charaktermangel. Im großen und ganzen habe ich mich schon gut in die neue Schule eingelebt. Neben meinen alten Fächern werde
ich auf meinen besonderen Wunsch im neuen Schuljahr, also ab Oktober auch Latein unterrichten, um mich noch auf ein neues Fach
einzuarbeiten. Dabei habe ich genau 30 Jahre Latein nicht mehr gesehen. Die herrlich langen Ferien - 3 Monate - benutze ich in diesem Jahr
vor allem mit zum Spanischlernen und zur Vorbereitung für Latein.
Leider war das Wetter im Juli nicht sehr schön, viel Regen, so dass wir nicht jeden Tag zum Strand und zum Schwimmen gegangen sind. Seit
etwa 10 Tagen residiert Franco hier, und dadurch ist San Sebastian für etwa zwei Monate Sitz der Regierung. Dazu die vielen Fremden, vor
allem Franzosen, Engländer und Deutsche, mit dem Auto kommt man im Zentrum der Stadt kaum vorwärts. Alle Hotelzimmer sind belegt. Viele
Veranstaltungen, wie internationale Filmwoche (Konkurrenz bester ausländischer Filme), Theater- und Musikveranstaltungen, Reitturnier,
Segelregatta und Stierkämpfe laufen nach einem bestimmten Plan ab und finden im August in der „semana grande“ - in der großen Woche -
ihren Höhepunkt. Im Sommer wird hier viel geboten, man kann Geld ausgeben und auch auf die Kosten kommen.
Wir erwarten in einigen Tagen aus Deutschland unseren ersten Verwandtenbesuch, im September dann den zweiten, mit dem wir nach der
großen Hitze nach dem Süden fahren wollen. Jetzt gefällt es uns hier an der kühlen Küste besser.
Im Juli habe ich die „fiestas“ in Pamplona besucht, darüber füge ich einen kleinen Bericht bei. Wie geht es nun Euch allen? An Euch als meine
beste Klasse denke ich noch oft, und ich würde mich sehr freuen, von Euch etwas Neues zu erfahren. Du, lieber Heinz, gibst meinen Brief wohl
weiter. Dir dafür besten Dank und Euch allen
recht herzliche Grüße
gez. Euer Dr. Hasse.